Ich kann das nicht. Das trau ich mich nie. Und wenn es nicht klappt? Selbstzweifel, Angst, Vorsicht. Wie oft habe ich schon was verpasst, weil mir der Mut fehlte. Weil ich gezweifelt habe.
Ich weiß noch, dass ich in der Grundschule immer Angst vorm Bockspringen hatte. Erst in der 4. Klasse habe ich es dann gewagt und war überrascht, wie einfach es ist. Anlauf nehmen, Arme durchdrücken, kurz fliegen und schon weich auf der Matte landen.
Apropos Anlauf. Auch vor der Weltreise hatte ich Angst. Was, wenn ich mir meine Karriere verbaue? Was, wenn Freundschaften kaputt gehen? Was, wenn ER und ich uns unterwegs fremd werden?
Die Weltreise war für mich der Zehner meines Lebens. Hand in Hand sind ER und ich gesprungen. Rein in die Fremde, rein ins Ungewisse. Eintauchen in ein völlig anderes Leben. Im Russland dann mein erstes Mal Couchsurfen. Überwältigende Gastfreundschaft. Zuhause fühlen auf einem geblümten Schlafsofa neben einem quiekenden Meerschweinchen.
Zum ersten Mal Transsib fahren, mit den vorbeiziehenden Birkenwäldern Gedanken kommen und gehen lassen.
Mein erstes Mal Wandern in den Wolken in Nepal.
Auf Lombok in Indonesien zum ersten Mal alleine Roller fahren. Für andere ganz normal, ich musste mich überwinden und hatte Glücksgänsehaut, als mir der Fahrwind die Haare ins Gesicht wehte. In San Pedro am Atitlan See in Guatemala tue ich wieder etwas zum ersten Mal.
Meine Hände zittern als ich die Chips durchzähle. Meine Füße sind saukalt, mein Gesicht rot. Die ganze Nacht habe ich von Karten, von Kombinationen und K.o.’s geträumt, war ständig wach. Müde sitze ich am Tisch.
Mein erstes Mal pokern – mit echtem Einsatz und gegen Männer, die schon Jahre spielen
Ich bin die einzige Frau am Tisch und kenne erst seit drei Tagen die Regeln. Dave, 47, aus San Francisco hatte sie uns erklärt. „A chip and a chair“ – solange du einen Sitzplatz und einen Chip hast, bist du im Spiel. Denke nicht daran, was du verlieren könntest, sondern daran, was du gewinnen kannst.
An seine Ratschläge, an seine ruhige Art, an seine warmen Augen denke ich, als ich die ersten zwei Karten bekomme. Drei und Sieben. Na toll.
Ich sage „fold“ und schiebe meine schlechte Hand zurück zum Dealer. 20 Minuten geht das so. Keine gute Hand, kein Spiel. Also verwerfe ich. Wieder und wieder. Langsam werde ich nervös, sehe wie sich die Chips vor meinen Gegnern türmen.
Nächste Runde: Ass und Bube! Ich erhöhe. Setze 120 Chips, ein Typ mit Cowboyhut geht mit. Der Dealer deckt die ersten drei Karten auf und ich treffe. Jetzt hab ich ein Paar Buben. Ich erhöhe nochmal um 200, um den anderen rauszuekeln. Es funktioniert. Ich sammele meinen Gewinn ein.
Anerkennendes Nicken vom Typen gegenüber, der sonst nur grimmig auf seine Karten starrt.
Es folgen wieder Runden, in denen ich mich gedulden muss. Aber mit dem ersten Sieg ist die Anspannung von mir abgefallen. Ich befolge strikt die Regel: Raus, wenn du nichts getroffen hast. Trenne dich auch von guten Karten.
Verlieb dich nicht in dein Blatt
Nach einer Stunde habe ich wieder Glück. Ass und Dame Karo. Im River, also mit der letzten Karte, die der Dealer aufdeckt, entdecke ich den Flush – fünf Karten Karo. Ich erhöhe auf 200, ein Volltätowierter rechts von mir reißt die Hände hoch, schmeißt seine Karten weg und sagt: „I’m afraid of you.“ Ich muss lachen. Gewonnen.
Aus 12€ Einsatz werde ich in den nächsten vier Stunden 55€ machen, 43 € Gewinn.
Ich bin stolz. Einfach mal machen. Einfach mal wagen
Abends sitzen wir am See. Der Rauch des Lagerfeuers brennt mir in den Augen. Dave nippt an seinem White Russian – mein Dankeschön für den Lehrer, der mich gelehrt hat, an mich zu glauben.
„Sehr gut gespielt“, sagt er. „Aber du hättest höher wetten können, um die anderen nicht in Versuchung zu bringen, sich noch eine Karte anzuschauen. Spieler wie dich, nennt man ‚Rock‘. Bei denen weiß man, dass die echt was auf der Hand haben, wenn sie wetten.“
Wir gehen die Karten nochmal durch, was wäre wenn… Ich nicke, aber ich bereue nichts. Mein erstes Mal als Rock fühlt sich verdammt gut an.
7 comments for “SIE – Sally, the Rock!”