Es ist Betrug. Sie ist sportlicher, stärker, größer. Ganz ehrlich: Ich kenne noch nicht mal ihren Namen, doch sie hat mich endlich wieder Freiheit spüren lassen.
In Lithang in Sichuan sind wir mit dem Motorrad durch die Berge, abseits der Straße, abseits der Zivilisation. Das hatte ich seit meiner Vietnam-Reise mit meiner Honda Win, meiner ersten großen Motorrad-Liebe Lisa, nicht mehr erlebt.
Wir starten gegen elf, SIE hinten drauf, mit uns fährt Akshay (21). Er ist noch nie Motorrad gefahren – oder ein Auto mit Gangschaltung. So stellt er auch die beste Frage des Tages: „Ach, das ist die Kupplung… Wozu ist sowas eigentlich gut?“
Das Fahren ist gewohnt asiatisch, Vorfahrt durch Masse, hupen statt blinken. Die Straße bis zum heiligen Berg ist asphaltiert. Es ist saukalt. Auf 4000 Metern rutschen die sieben Grad Plus ab 30 Sachen gefühlt ins Minus. Kurz vor der Ankunft schlängelt sich die Straße den Berg hoch, 200 Höhenmetern, Gang runter, 5000 Umdrehungen.
Im Kloster betet ein Mönch Ferse aus seinem Gebetsbuch. An den Seiten leuchten Kerzen neben Opfergaben. Meine Finger sind taub vom Fahrtwind. Der Berg ist mit Tausenden Gebetsfahnen behangen. Jeder Schritt rauf ist anstrengend, hier auf über 4300 Metern ist die Luft so dünn, dass man nach ein paar Metern schon hechelt. Den Berg umrunden wir im Uhrzeigersinn, das ist buddhistischer Usus: Klöster besucht man immer links herum, auch die Gebetsmühlen drehen sich mit den Zeigern der Uhr.
Von oben ist der Blick atemberaubend, nicht nur von der dünnen Luft, die Stadt zwischen Bergen, manche davon schneebedeckt. Mein Blick fällt aber vor allem auf einen kleinen Weg gegenüber, steil den Berg hoch. Unser nächster Motorradweg, hoffentlich wird der Berg dort nicht für Himmelsbestattungen verwendet.
Wir fahren hoch, erster Gang, viel Gas, Gewicht nach vorne bei den unebenen Spurrillen, das eine Stück ist so steil und uneben, das SIE absteigen muss, damit ich unsere Maschine auf den Gipfel bekomme.
Wir biegen links ab, vor uns teilt sich der Himmel. Von Mitreisenden hatten wir gehört, dass es regnen soll. Rechts dunkle Wolken, vom Regen verwaschen grau nach unten gezogen. Links hängt das Weiß unter den Wolken. Schnee. Dazwischen ein blauer Korridor.
„Das können wir schaffen, wir fahren einfach dazwischen durch, wo das Wetter gut ist“, sage ich, und ich glaube es in diesem Moment wirklich.
Wir fahren am Berg entlang, parallel zur Straße nach Lithang. Dann führt der Weg plötzlich nach links, Richtung Schneewolken. Und er führt nach unten. Es fängt an zu hageln, die Eis-Kugeln schlagen gegen meine rotgefrorenen Hände. Der Grasweg wird rutschig, die Räder blockieren beim leichtesten Bremsen, SIE muss abspringen, ich bringe das Motorrad nach unten, fahre auch das von Akshay über den schwierigen Weg.
Im Tal müssen wir durch einen Bach, immer wieder an der Erdkante entlang, nachschauen, wo das Wasser flach genug ist, dass wir durchkommen. Wir schaffen es, immer wieder, nur noch ein Berg, ein kleiner Berg, dann ist da die Straße, die uns nach Lithang bringt. Die Sonne kommt raus, es kann nichts mehr schief gehen. Nur noch diese Rasenfläche, ein paar Meter, ein paar Erdhügel, dann sind wir da.
Natürlich bleiben wir stecken, mein Vorderrad sinkt bis zur Achse in sumpfiges Gras ein. Ich versuche weiterzukommen. Doch das Hinterrad dreht durch, ich muss absteigen. Die Zeit vergeht ein wenig langsamer, als sich mein rechter Schuh bis zum Knöchel in den schlammigen Boden gräbt. Wir waren schon so nah.
Über eine halbe Stunde brauchen wir, um die Motorräder rückwärts raus zu tragen, mit ganzer Kraft über jeden Erdhügel. Zwischen meinen Zehen sammelt sich der Schlamm. Die Füße frieren zu Eisklumpen bei der Rückfahrt.
Ehrlich, in dem Moment macht es keinen Spaß, wie in Vietnam, als ich auf dem Pass im roten Schlamm stecken blieb. Doch damals war abends schon die Anstrengung vergessen, was blieb, war die Erinnerung an den einmaligen Blick auf die Schlucht zwischen Vietnam und China.
Und auch heute bleibt das Bild des Hügels, auf dem wir standen, vor uns der Korridor aus schönem Wetter. Und das Gefühl: Wir schaffen das.
Hier gibt’s ein kleines Video – bevor es hagelt.
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