Ich muss IHR jetzt einen schönen Satz klauen. Man muss dem Glück einen Stuhl hinstellen.
Das gilt für unsere erste Woche in der Mongolei ganz besonders. Am Dienstag kommen wir an, 5.40 Uhr in Ulaanbaatar, müde nach über 32 Stunden in der Touri-Schleuder. Wir brauchen ein Visum für China, müssen Unterkünfte buchen, Flüge haben, den Papierkram ausfüllen.
Am Mittwoch zur chinesischen Botschaft, dort stehen rund 70 Menschen vor der Toren, in drei verschiedenen, scheinbar wahllosen Schlagen. SIE fragt sich durch, bis wir drin sind. Wir sortieren den Papierkram, das Passfoto fliegt herum. Da reicht uns eine Frau einen gelben Klebestift, sagt auf Deutsch: „Hier, nehmt den.“Wir warten zusammen, eine knappe Stunde. Vor uns werden Menschen abgewiesen, sie haben keine Einladung (wir auch nicht).
Inka, dir Frau mit dem Klebestift, ist mit einem Deutschen verheiratet, der in Schanghai lebt und braucht dafür jetzt ein Visum. Als Mongolin müsste sie die ganze Nacht in der Schlange warten, doch mit ihrem deutschen Aufenthaltstitel versucht sie es mit uns in der Touri-Schlange.
Wir bekommen das Visum, sie nicht. Trotzdem tauschen wir E-Mails, sie sagt: „…wenn ihr irgendwas braucht…“
Am nächsten Tag schreibt sie: „Ich bin am Sonntag auf einer Familienfeier. Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen, dann seht ihr Land und Leute.“Wir stellen dem Glück den Stuhl hin und sagen sofort zu.Am Sonntag steht sie um kurz vor 9 Uhr in der Straße. Ihre Schwester sitzt am Steuer, daneben die Mutter in traditionellem Gewand.
Wir fahren 1,5 Stunden raus aufs Land. In dem Landhaus ihrer Verwandten kochen sie. Inka, die nicht so heißt, aber die wir wegen ihres für uns unaussprechlichen Namen so nennen sollen, ist extra früh los. Sie wollte, dass wir sehen, wie das Essen gemacht wird.
Draußen vor dem Haus lodert ein Feuer aus getrockneten Kuhfladen und Birkenholz. Die Männer stellen einen großen Kochtopf darauf in der Größe einer Milchkanne.
Es wird gekocht: Wasser rein, dann abwechselnd rohe Ziege mit Steinen aus dem Lagerfeuer. Dann bleibt das ganze drei Stunden auf dem Feuer.
Das Resultat ist gekocht, schmackhaft – und fett. Die gelb-weißen Lappen werden mitgegessen. Wir sitzen inmitten der mongolischen Familie, Inka kümmert sich um uns. Wir probieren gegorene Stutenmilch (rund zwei Prozent Alkohol), den typischen Schafsmilch-Tee und getrockneten Käse. Harte Kost, so vor dem Essen. Vor allem wenn man beim Essen alles, wirklich alles bis auf die Knochen abnagt. Und in der Suppe die Fettlappen schwimmen – die ich auch aus IHRER Suppe essen muss.
Nach dem Essen wird Wodka gereicht. Immer mit zwei Händen. Nein sagen darf man nicht, auch im Stehen trinken geht nicht. „Es gibt viele Regeln hier in der Mongolei“, sagt Inka. Nippen ist erlaubt, dann wird das Glas weitergegeben, bis wirklich jeder die Lippen dran hatte. Und plötzlich steht der Gastgeber auf, sagt etwas und fängt an zu singen. Alle müssen singen. Wirklich alle. Auch „die Deutschen“.
Da IHR und mir nichts anderes einfällt, singen wir „Wie schön, dass du geboren bist…“ und bitten Inka, den anderen nicht zu verraten, dass es ein Geburtstagslied war. Wieder was über Deutschland gelernt: Singen ist nicht in unserer Tradition.
Am Abend wird der Feuertopf wieder angeschmissen, diesmal kommt ein halbes Schaf zu den heißen Steinen aufs Feuer. Alle sitzen im Rasen im Schneidersitz, essen Schaf vom Knochen. Nippen am selben Glas.
Inka will uns unbedingt zu den Nachbarn bringen. Es sind Nomaden, die in einer Jurte leben. Wir setzen uns in das weiße Zelt, drinnen ein Flachbild-TV mit Lautsprecher. Die Nomaden sind seit einiger Zeit nicht mehr gewandert, die Jurte steht auf Beton.
Wir bekommen wieder Hefebrot, den getrockneten Käse, die vergorene Stutenmilch. Draußen melken die Jurten-Bewohner ihre Kühe, wir dürfen eine Runde auf dem Pferd drehen.
Inka freut sich, dass wir uns freuen. Auf der Familienfeier fragt mich einer: „You speak french?“ – „oui.“
Toushé, der auch wieder anders heißt, hat sechs Jahre in Frankreich gelebt, von 16 bis 22. Er hat dort nie eine Schule besucht. Französisch hat er auf der Straße gelernt. Der 1,70 Meter kleine Mongole spricht nur Slang, mit einem arabischen Akzent.“Ich hab seit Jahren kein Französisch mehr gelabert, lass mal zusammen was futtern“, sagt er. Er meint eine Einladung zum Abendessen. Ich sage Ja. Denke: der Stuhl.
Zwei Tage später holt er uns in Ulaanbaatar ab, vor dem State Department Store. Er wohnt in Töv, 40 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Die Fahrt dauert eine Stunde, wenn man nicht wie Toushé noch schnell was erledigen muss.
Drei Stunden später sind wir bei ihm, machen Buuz, mongolische Maultaschen – natürlich mit viel Fett drin. SIE geht dabei durch eine harte Schule, jeden Handgriff beäugt Toushés Frau genau und verbessert. SIE hat Hunger, das sehe ich ihr an. Aber kurz bevor SIE die Geduld verliert, gibt es endlich Essen.
In Frankreich hat Touché immer kleine Jobs gemacht, Pizzen ausliefern oder als Umzugshelfer arbeiten. Er hatte Kleidung, ein Handy, einen Computer, sagt er. „Doch Kohle zur Seite legen war nicht.“
Deshalb ist er zurück in die Mongolei. Hat als Lkw-Fahrer angefangen, dann einen eigenen Brummi gekauft. Jetzt hat er zwei und bezahlt die Fahrer. Er kann sich eine Eigentumswohnung leisten, er und seine Frau haben beide ein Auto. Da sie jetzt schwanger ist, kann er was für das Kind zur Seite legen. Ein geregeltes Leben. Er kann nicht verstehen, warum wir unsere Weltreise machen. „Ich verliert euer Geld, ihr habt für euren Beruf nichts davon.“
Wir lernen die Welt kennen, die Kulturen, lernen etwas über uns. Es sind Moment wie der hier, mitten in der Mongolei mit einem Fremden, die sind nicht mit Geld zu kaufen sind. Das alles lässt er nicht gelten. „Ich kommt zurück und habt nix.“
Irgendwie hat er Recht.
4 comments for “ER – Der Stuhl und die Jurte”