ER – Russland ist nicht mehr das, was es mal war

Dieser Text verrät mehr über mich als über Russland, das vorweg. Aber Russland ist halt nicht mehr das, was es mal war – in meinen Vorstellungen. Ich schreibe Vorstellungen, um nicht Vorurteile zu sagen.

Vor der Weltreise habe ich Blogs, Beiträge, alte Reiseberichte gelesen. Achtung, der Russe trinkt, der Russe raucht, der Russe ist laut und rüpelhaft, heißt es. In den Zügen ist es schmutzig und schmierig, in den Gängen wird geraucht, auf den Liegen gesoffen. Deshalb wird der Russe im Schnitt nur 57 Jahre alt, wenn er denn männlich ich. Doch bislang ist mir dieser Russe noch nicht über den Weg gelaufen.

Seit knapp zwei Wochen treffen wir nur auf Menschen, die gastfreundlich, großzügig, gebildet sind, nicht trinken und nicht rauchen.

Julia aus Moskau: „Ich mag keinen Wodka, ich rauche nicht“, sagt die Mutter eines Dreijährigen.

SIE, ER, Wodka

SIE, ER, Wodka: Den haben unsere Gastgeber für uns bestellt… Die Färbung kommt vom vielen Meerrettich

Igor und Angela aus Nizhny Novgorod haben beide mit dem Rauchen aufgehört und trinken höchstens mal ein Glas Wein. Aber Wodka? Niet!

Sie bestellen für uns Touris im Restaurant eine kleine Karaffe von dem Kartoffel-Schnapps, der so stark mit Meerrettich vermischt ist, dass selbst sie es höflicherweise runterwürgen können.

Galina aus Kazan: „Ich mag keinen Wodka. Mein Mann Sergey hat früher mal mehr getrunken. Das war aber in seinem Studien-Jahr in Deutschland. Seitdem er in Russland ist, trinkt er kaum noch Alkohol.“

Artem und Kseniaa aus Izhevsk: Fast nie Alkohol. „Ich bin Sportler“, sagt der 30-Jährige Sicherheitsbeauftragter in einer Tiefkühlfirma. Er isst selbst angebautes Gemüse. „Ohne Gift.“

Und was ist mit der Transsibirischen Eisenbahn?

Zug von außen

Neu, sauber, pünktlich. Was ist nur aus Russland geworden?

Als wir am Montag um 21.25 Uhr in unseren ersten Nachtzug steigen, bin ich gut vorbereitet: Brot, eine Trockenwurst, ein paar Scheiben Käse. Und ein Bier, um es auf der ersten Station unserer langen Reise auf Schienen so zu machen wie angeblich alle. In Indien waren wir schon in Zügen gefahren, da werden die Leute solange vorne reingeschoben, bis hinten die ersten wieder rausfallen. Ich war auf alles vorbereitet, bis auf das…

Passkontrolle am Eingang, ein brandneuer Zug. Frische Bettwäsche und Badetücher, einzeln in Einweg-Plastiktüten hygienisch verpackt. Weiche Matrazen, Kissen. Jeder Waggon mit eigenem Schaffner.

Boris (25) haben wir im Zug kennengelernt. Hier denkt ER noch, dass es gleich hoch her geht

Boris (25) haben wir im Zug kennengelernt. Hier denkt ER noch, dass es gleich hoch her geht

Um kurz vor 22 Uhr ist alles ruhig. Die Menschen beziehen ihre Betten. Offenbar die Ruhe vor dem Sturm, bevor die Wodka-Flaschen auftauchen.

Um 22.20 Uhr ist kein Sturm gekommen. Die Menschen um uns herum schlafen seelenruhig.

Ich sitze da, in der Hand ein lauwarmes Bier. Die Schaffnerin entdeckt mich, schnauft mich an: „Alkohol im Zug verboten.“

Ich muss die Plöre im Zug-Klo ausschütten, gehe durch den Waggon zum WC. Die Leute müssen denken: „Seht ihn euch an, den Deutschen mit der Bierdose in der Hand.“

 

 

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