SIE – Endlich Transsib-Traum

Das Paar gegenüber beim Essen

Das Paar gegenüber beim Essen

Das erste Mal Transsib-Gefühl empfinde ich erst 1400 Kilometer entfernt von Moskau. Die Züge von Moskau nach Nizhny und weiter nach Kazan waren modern, gepflegt und leer. Der Rest unserer Reise war fernab der Transsib-Strecke mit Elektrichka und Bus.

Als ich am Montag in den Zug nach Jekatarinburg steige, ahne ich, was mich auf den 20- und 34-Stunden Fahrten in den kommenden Tagen erwartet.
Draußen die Hitze auf dem Asphalt-Bahnsteig in der Mittagssonne, drinnen laufe ich gegen eine Wand. In Waggon 12 riecht es nach offenen Talgdrüsen, Tütensuppe und Tee mit Schuss. Nastrowje! Vorbei an nackten, behaarten Oberkörpern, vorbei an spielenden Kindern auf weißen Laken.

Ich habe Platz 31, unten. Gegenüber liegt eine adrette Babuschka mit silbernen Fingernägeln. Sie streckt ihre Füße aus und trotzdem lässt sich ein Mittvierziger (Typ Bauarbeiter) auf einer Ecke ihrer Liege fallen. Ich packe mein Mittag aus: gekochte Linsen, Gurken, Brot.

Blausbären essen. ER fotografiert von der Liege oben

Blausbären essen. ER fotografiert von der Liege oben

Mein Gegenüber ebenfalls: Eine Flasche Bier. Na, dann. Während ich zur Gabel greife, stubst ER mich in die Seite. „Hast du gesehen, wie der sein Bier geöffnet hat?“ Ich schüttel den Kopf aber ahne schon. Denn: Seine Augen leuchten. „Der Mann hat meinen vollen Respekt. Mit den Zähnen hat er das gemacht!“ Willkommen in der Transsib unserer Träume!

Im Fenster läuft die Serie „Birkenwälder“. In den kurzen Werbepausen rattern vorbeiziehende Züge Richtung Moskau durchs Bild. Ich hätte große Lust mir die ganze Staffel reinzuziehen, aber heute geht es nur nach Jekatarinburg. Fünf Stunden Zugfahrt. Nur, so fühlt sich das nach zwei Wochen in Russland an. Lohnt sich gar nicht mein Laken aus der Plastikpackung zu ziehen. Ich bin im Transsib-Modus angekommen. Da sind fünf Stunden Schienen nichts. Die Dame gegenüber ist seit über 24 Stunden unterwegs. Während wir ihre selbstgepflückten Blaubären essen, zeigt sie mir ihre Reiseroute. Eingestiegen in Vyatka, ihr Ziel: Krasnoyarsk. Drei Tage im Zug!

Wie modern ein Transsib-Zug ist, lässt sich übrigens an den Nummern ablesen. Je höher, desto schlechter, älter, dreckiger. Ich sitze in der 92. Mit der Nummer 618 geht es dann von Taiga nach Irkutsk – da werde ich den Baikalsee (16 Grad) als Abkühlung brauchen.

 

 

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