Vorsichtig drückt sie mir die Bananenblatt-Schablone auf die Stirn. Trägt mit dem Zeigefinger eine klebrige Paste auf und tupft dann mit Wattestäbchen Punkte in allen Regenbogenfarben auf. Sie gibt mir gerade die schönste Tika meines Lebens. Sie – das ist nicht irgendeine Touristenfängerin in einem überfüllten Tempel. Sie heißt Tara, ist die Schwester unseres Lieblings-Sandwichverkäufers in Pokhara und wir sitzen gerade mittendrin in ihrem Familienfest.
Vielleicht weil wir uns in Pokhara einfach Zeit gelassen haben. Einfach den Alltag im Ort genossen haben, fast jeden Tag bei Ram waren, der immer ein Buch liest, wenn gerade keine Kunden da sind und abends hinter seiner Theke schläft. Vielleicht haben wir dem Glück so wieder einen Stuhl hingestellt. Zumindest lud Ram uns einfach ein.

Die Schwester gibt ihrem Bruder die Tika und er beschenkt sie dafür mit Geld. Ausnahmsweise bekommt auch ER die Tika, das hinduistische Segenszeichen
„Morgen ist der Abschluss der Feiertage, morgen ist Bhai Tika – der Tag von Bruder und Schwester, ich schließe meinen Laden. Wenn ihr wollt, kommt doch mit in meine Familie“, sagte Ram während er die Teller unserer Sandwiches abräumt. Erst als wir beide mit Tika auf der Stirn und Geschenken im Arm im Haus seiner Eltern stehen, wird uns richtig klar, was dieser Satz bedeutet. Diese Einladung ist ungefähr so, als würden wir Fremde zum geliebten Weihnachtsfest mit der engsten Familie einladen.
Einfach so. Aus Gastfreundschaft. Es ist überwältigend. Wieder so ein Weltreise-Moment, der bleibt.
Wie wir unsicher in das Haus stolpern, wie die Familie uns begrüßt. Wie wir dabei sein dürfen, als die Schwester ihren Brüdern feierlich die Tika gibt und dann auch noch uns. Dieses Segenszeichen – auch Tilaka genannt – malen sich Hindus zum Abschluss zu besonders feierlichen Anlässen auf die Stirn. Wie geehrt wir uns fühlen. Wie sie uns anschließend sogar traditionell mit Zuckerringen, Früchten und Kuchen beschenken und zum Essen einladen. Wie wir zusammen auf dem Küchenboden sitzen und mit den Händen Dal Bhat (Reis mit Linsen, Gemüse und Fleisch) essen.

ER, SIE und Ram, unser Sandwichverkäufer, der uns spontan zum Familienfest eingeladen hat. Einfach weil wir uns gut verstanden haben, immer wenn wir bei ihm essen waren
Wie ich beim Abwasch helfe, die Frauen lachen und mir erklären, dass ich ihr Driver bin.
Die Mutter tut so, als würde sie ein Auto lenken, dabei seift sie einen Teller ein – so erklärt sie mir den Ausdruck. Wie oft ich wohl an diesen Weltreise-Moment denken werde, wenn ich wieder durch Hamburgs Straßen fahre?
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