Das ist Sally, die erkenne ich schon am Gang. Das war der Standardsatz meiner Kollegen, wenn ich im Büro um die Ecke kam. Manche nannten meine Art zu gehen dynamisch und zielstrebig, andere polternd und stampfend.
Ihr würdet mich nicht wiedererkennen, ihr lieben Kollegen!
Sechs Monate Weltreise hat es gebraucht, aber jetzt ist es soweit: Ich habe mich verändert. Ich stratze, strebe und stresse nicht mehr.
Ich schlendere! Die Insel mit den „Go slow“-Straßenschildern hat mich entschleunigt. Caye Caulker hat mich gelehrt, mal langsam zu machen.
Und wenn ich doch einen Rückfall habe und etwas zu schnell unterwegs bin, ist auf die Insulaner, die am Sandstraßenrand sitzen, Verlass: „Go slow, slowly, slowly.“
Wohin ich so schlendere? Zur Hängematte, die mir nicht gehört. Ich schlendere also nicht nur, ich schnorre auch noch.
Ab auf den Steg, am „For guests only“-Schild vorbei lasse ich mich fallen in das schwingende Himmelbett. Salzige Meerluft auf Lunge. Die Mittagssonne blinzelt durchs verrottete Dach aus Palmenwedeln. Boote schmatzen im Wasser.
Der Wind gibt mir Anschwung, wiegt mich sanft hin und her
Der perfekte Ort zum Resümieren, zum Denken und Gedanken verwerfen.
Wenn ich an sechs Monate unterwegs sein, 185 Tage auf Weltreise, denke, sprudeln so viele Eindrücke und Erinnerungen in mein Hirn, dass ich erstmal Ordnung schaffen muss. Meine Überschriften fürs Schubladen-denken:
Leben
Tod
Eigentlich sind es nur diese zwei. Wie viel ich über das Leben gelernt habe unterwegs in so unterschiedlichen Ländern wie Russland und Belize! Die Verlegertochter aus Jekaterinburg, die nach ihrem Weg sucht, ehrgeizig aber unschlüssig und der Banana-Bread-Verkäufer von Caye Caulker, der seinen schon gefunden hat. Täglich schiebt er sein Bauchladen-Fahrrad über die Sandwege, sobald seine Frau ihr Okay gegeben hat für das Beladen direkt aus dem Backofen. Das war’s. Mehr kommt da nicht. Der Mann verkauft ein paar zuckrigen Teigwaren und dann lehnt er sich wieder zurück.

Auch wenn es vielleicht so aussieht, SIE schläft nicht, sondern balanciert graziös auf der Schaukel in unserer Lieblingsbar
Jedem Burnout-Kandidaten sollte dieser Ort mal als Kur verschrieben werden.
Diese Gelassenheit, diese Zufriedenheit mit dem Jetzt, diese Meister des gerade genug Machens. „Don’t work to hard, man!“ sagte letztens ein Insulaner zum anderen – beim Burrito-Frühstück, so zum Start in den Tag.
ER hat auch schon über diesen Satz sinniert. Das zeigt, wie sehr er uns beeindruckt. Dieser Satz, diese klare Ansage: Mach nicht zu viel, arbeite nicht zu hart, halte mal kurz inne, bevor du im Stress-Strudel schwimmst.
Was zählt im Leben? Was ist wirklich wichtig? Über diese großen Fragen des Lebens habe ich auf der Reise meines Lebens viel nachgedacht.
„Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben“
Kurt Tucholskys (1890-1935) Worte berühren mich. Ich reise seit sechs Monaten, weil ich Sehnsucht habe, weil ich neugierig bin. Ich suche nicht Leben im Sinne von Bewegung, weil mein Alltag Stillstand war. Ich suche auch nicht nach einem, das ich gerne führen würde. Das habe ich schon gefunden. Ich bin neugierig darauf, wie andere ihr Leben leben.
Ich denke an Galina in Kazan, die sich zwischen Selbstständigkeit und gesellschaftlich auferlegtem Kinderwunsch entscheiden muss. An Touche in der Mongolei, der aufgewachsen in einer einfachen Jurte nur ein Ziel kennt: Geld, Geld, Geld verdienen für sich und seine schwangere Freundin. Oder Ya aus Chongching, die ihren Weg gehen wird, auch wenn sie den chinesischen Gehorsam immer bei sich trägt – wie ein Tattoo ohne Tinte.
Oder Ram aus Nepal, der den Touristen in Pokhara täglich den Geschmack ihrer Heimatländer auf die Zunge zaubert, und wenn er gerade keine Sandwiches schmiert, an der Mauer seines kleinen Ladens lehnt und einen dicken Wälzer liest – sein Fenster in eine andere Welt.
Ich erinnere mich an den immer strahlenden Nay Myo aus Chaung Tha, der umtriebige wir-kriegen-das-alles-hin-
All diese Menschen glauben an etwas, an Gott, an das Gute oder einfach an sich.
Ich denke an Emanuel, der uns auf der Fahrt über die Insel Flores etwas Kluges über seinen Glauben verrät:
„Christliche Werte, die messen sich nicht an Besuchen in der Kirche, sondern daran, wie Du Dich im täglichen Leben verhältst. Wie Du Menschen behandelst und ob Du kleine Freuden verschenkst.“
Er ist es auch, der mir die vielen aufwendig gekachelten Grabstätten direkt neben den oft einfachen Hütten erklärt:
„So ein Grab kostet etwa 200€, das ist verdammt viel, aber das ist eben ein Haus für die Toten. Für die Alten, für die Verstorbenen ist es die Versicherung, dass die Kinder das Land nicht verkaufen.“

Pssst! Bloß nicht entdeckt werden in der Hängematte, in der SIE gar nicht liegen dürfte! Nur für Gäste
Beim Aus-dem-Fenster-Gucken lerne ich so viel. Gedanken, die in die zweite Schublade gehören. Die mit der Aufschrift: Tod.
Emanuels Antwort auf meine Frage, warum die Menschen auf den Gräbern Wäsche aufhängen, Kinder spielen und Pubertierende rumhängen.
„Die Körper gehen, aber die Seele bleibt. Deshalb sitzt man zusammen, die Lebenden auf der letzten Ruhestätte der Toten.“
Zu erleben wie andere Kulturen – etwa tibetische Buddhisten oder indonesische Christen – mit dem Tod, der Abwesenheit von Leben umgehen, fühlt sich so bereichernd an, weil es so viel über das Leben aussagt.
Über die Art, das Leben zu nehmen, wie es kommt. Und: Aus dem Leben das zu machen, was man sich wünscht.
Die vielen Lebensgeschichten in den sechs Monaten haben mich bewegt, berührt und bestärkt
Bestärkt darin, weiter neugierig zu sein, weiter Sehnsucht nach Leben zu haben. Sechs Monate Weltreise liegen noch vor uns. Vor uns liegt aber auch die Rückkehr. Und ich bin schon jetzt neugierig auf das Leben zuhause. Auf die Leben meiner Familienmitglieder, meiner Freunde und meiner Kollegen. Ich bin gespannt, wie ihr euch verändert habt!
Der Himmel im Osten, der morgens immer so erfüllt ist von den ersten Sonnenstrahlen, verschwimmt jetzt zu einem Rosa-Blau-Violet. Das Meer, das tagsüber immer so unverschämt türkis schimmert, ist jetzt von einem schnöden Grau erfüllt und vom Herzen Caye Caulkers, dem Basketball-Platz, weht nach jedem Korb ein „yeah, man!“ – zu mir auf den Steg.
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