Es waren einmal eine Frau, die zum Grenzbeamten aufschaute, ein Mann, der nervös am Reißverschluss seiner Tasche rumspielte und ein kleiner dicker Junge, der gelangweilt auf den eisernen Absperrungen herumturnte.
Szenen an Grenzen sind wie Anfänge in Märchen, irgendwie immer gleich. Aber nicht beruhigend und schön. Zumindest nicht für mich. Mir verpassen sie ein unangenehmes Gluckern in den Bauch und ein verkrampftes Lächeln ins Gesicht.
Ich habe Grenzangst. Also jetzt nicht pathologisch, aber sicher doch messbar.
Handtäschchen auf. Handtäschchen zu – bei mir ist es der Rucksack. Mein Puls pumpt und ich bekomme dieses „jetzt nicht auffällig gucken“-Gesicht, bei dem ich schon in der Schule immer sofort dran war. So als würde mir ein „übrigens, ich baue gerade Scheiß“-Zettel auf der Stirn kleben.
Noch drei vor uns in der Schlange. Wer an den drei Uniformierten in Himmelblau vorbei kommt, ist in Panama. Nebenan am Schalter presst ein Tourist mit Hippsterbrille sein Ohr ans Sprechfenster, dessen Öffnung wie ein Vorhang im Theater aussieht. Er versucht krampfhaft zu verstehen, was die Grenzbeamtin ihm auf Spanisch entgegen nuschelt. Zwecklos. Sie versucht es mit Zeichensprache.
Jetzt begreife auch ich, was sie meint. Zweifelsfrei: „Verschwinde“ heißt dieses Wedeln mit der linken Hand, das ist international. Kurzer trauriger Auftritt für den Touristen. Vorhang fällt. Nächster. Fassungslos sagt er im Vorbeigehen: „Ohne Ausreiseticket, kein Stempel.“
In vollkommener Wonne während der drei Wochen mit meinen Eltern in Costa Rica haben auch wir vergessen, uns um dieses Dokument zu kümmern. Wir haben zwar die Ausreise gebucht, aber noch nicht bezahlt, ergo noch keine Bestätigung.
Panama will das schriftlich. Haben wir aber nicht.
Ich dreh mich zu IHM um. „Verdammt, was machen wir denn jetzt?“ Ich starre IHN an, spüre wie ich panisch werde. Wir haben keine Zeit hier festzusitzen. Meine Freundin Lisa kommt übermorgen. Wenn die uns jetzt nicht reinlassen! Und wir müssen zum Treffpunkt noch quer durchs Land reisen. Mein Hirn hämmert. Gedankenpuzzel ohne passende Lösungsteile. Noch zwei vor uns.
Klar, wir haben schon einige Grenzen erlebt. Von Russland in die Mongolei haben sie uns 2 Stunden im Zug eingesperrt, niemand durfte aufs Klo. Dann kamen die Grenzbeamten mit Drogensuchhunden. Wehe, man hat sich mit den süßen Labradors zu gut verstanden.
In Mexico wurde ich zwei Stunden festgehalten, weil sie mir unterstellten, ich hätte meine Schwimmweste aus dem Flugzeug geklaut. Am Ende sollte ich zahlen, weil die Einfuhr einer Schwimmweste mit CO2-Kartusche verboten sei. Während ER nervös draußen wartete, half mit drinnen nur ein theatralischer Vortrag über meine panische Angst vor Wasser. An dieser Stelle ein großes Danke an meine Theaterlehrerin in der Oberstufe!
Noch einer vor uns.
Wenn ich aufdrehe, wird ER ruhig. Das war schon immer so, aber zusammen auf Weltreise, das ist wie ein Brennglas für die Beziehung. „Keine Sorge, wir machen nix illegales, wir wollen das Land ja verlassen“, sagt ER.
24/7 zusammen, da wissen wir, was der andere denkt oder wenn der andere gerade nicht denken kann. „Lass mich mal vor.“ ER schiebt mich sanft zur Seite und auch wenn ich sonst gerne vorne bin und einfach drauflos rede, bin ich gerade sehr dankbar.
Wir sind dran. Ich atme tief ein und höre wie ER dem Grenzbeamten erzählt, dass wir von Panama nach Kolumbien segeln. Der Mann in Uniform guckt unwillig. „Sailing“, scheint er nicht zu verstehen. „Volero“, schiebt ER auf Spanisch nach. Rattert die Daten, wann wir wo sein wollen, herunter. Unbeeindruckt davon unterbricht der Grenzbeamte. „I need an airplane ticket“. ER nickt und zaubert aus dem Tablett unser E-Ticket für den Abflug aus Kolumbien hervor. Der Grenzbeamte immer noch grimmig.
„Show me 500 $“ ER fackelt nicht lange, sondern zählt 300 Dollar in 20er Scheinen vor sich auf den Tisch. Kreditkarten hätte er auch noch, mehrere, keine Sorge. Der Grenzbeamte winkt ab, aber: ER GREIFT ZUM STEMPEL. Ich fasse es nicht! Jetzt bin ich dran. Gehe zwei Schritte auf den Schalter zu und kriege nur ein „también“ (auch) raus.
Ich halte mich mit beiden Händen am Tresen fest. Warum sind die an Grenzen immer so gebaut, dass man sich fühlt wie ein Kind, das beim Kiosk um Eis bettelt? Ich gucke zu ihm hoch, sehe noch, wie seine fleischige Hand wieder zum Stempel greift und schon ist der nächste dran.
Geschafft! Ich drehe durch. Stolper zurück zum Bus. Panama-Pokern, wir haben gewonnen.
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