SIE – Baikal-Camping auf Russisch

SIE vor dem staubigen Insel-Städchen

SIE vor dem staubigen Insel-Städchen

„Wenn Männer in Tarnkleidung Plastik verbrennen, ist Krieg in den USA. Wenn Männer in Tarnkleidung Plastik verbrennen, ist Urlaub in Russland.“ Dieser Satz des Amis Joshua wäre meine erste Antwort auf die Frage, was mir zum Baikal einfällt.

Am Baikalsee verbringt Russland seine Ferien – gerne auf der 72- Kilometer langen Insel Olchon, genauer in deren Hauptstadt Kuzhnir. Postkartenmotive satt, sobald man aus der Matruschka (Minibusse, die den Transfer von der Fähre übernehmen) steigt.

Holzhaus

Einfaches Holzhaus vor Himmelblau

Baikal, der Sehnsuchtsort für viele Russen, die noch nie da waren und für all die, die sich zurück in ihren Sommerurlaub tagträumen. Alles soll so bleiben, wie es letztes Jahr war. Einmal Urlaubsroutine, bitte. Egal, ob die Einwohner dafür weiter in ihren zugigen Holzhütten frieren müssen, wenn es nicht +30 sondern -40 Grad sind. Egal, ob die sich auch mal was anderes als ein dreckiges Plumsklo wünschen, das ist so schön Landleben, wie der russiche Stadtmensch sich das vorstellt.

lkw im Staub

Die Hauptstraße müsste eigentlich Staubstraße heißen

Schrammelige Häuser in Holzbraun vor wolkenlosem Himmelblau. Massige Monster-Trucks auf Staubwolken-Hauptstraße. Wenn ich an den Baikalsee denke, habe ich Bilder im Kopf. Viele, die nicht zusammenpassen wollen. Wunderschöne Natur und stinkende Müllberge, in denen Kühe wühlen.

Als ich aus der Matruschka steige, habe ich dieses Gefühl im Gepäck, das ich nicht loswerde. Dieses „Im ernst? Dieses vermüllte, ärmliche Staubstädtchen ist euer Urlaubsparadies?“-Gefühl. Auch als ich das erste Mal in das klare Wasser des heiligen Sees eintauche und sich alles in mir zusammen zieht – Nordsee ist nix dagagen – kann ich dieses Gefühl nicht abwaschen. Ich drehe mich um und sehe Ballerman-Baikal. Bierbäuchige Russen mit Flaschen in der Hand, überschlanke Russinnen, die sich in der Sonne braten.

schlafen am Strand

SIE macht Nickerchen am Strand. Im Hintergrund ratzt Manu aus München

ER und SIE im Schein des  Lagerfeuers

ER und SIE im Schein des
Lagerfeuers

Der Leitsatz „Love it, change it or leave it“ von Meike Winnemuth umtreibt mich. Nach einem Nachmittags-Nickerchen am Strand mit dem See im Ohr und dem Sand auf der Haut ist mir klar: Ich habe mein Baikal-Urlaubsparadies gefunden. Ab auf die Couch der Natur. Raus aus unserem Couchsurfing-Zuhause nach nur einer Nacht bei dem gläubigen Sergey. An diesem etwas abgelegenen Strand nördlich des Staubstädtchens einschlafen, aufwachen, sein. Ich könnte IHN knutschen für den Vorschlag: „Lass uns doch ein Zelt ausleihen.“

Mit „Change-it“-Kribbeln im Bauch laufen wir zur Hauptstraße, doch alle „tents to rent“ seien kaputt, sagt die Verkäuferin im Souvenirladen. Wir versuchen’s im Betonklotz-Supermarkt und tatsächlich. Nach meiner Pantomime-Vorstellung kramt die Verkäuferin einen blauen Nylonsack aus dem Regal. Kosten: 2800 Rubel (50 Euro), fast drei Tagesbudgets! Puh, das ist soviel wie sich eine Nacht all inklusive in der Tourihochburg einzumieten, rechnet ER mir vor. Egal, los, machen!

Und wir machen. „Love it, change it or leave it“. Wir sind Changer, denke ich noch.

Strandmuschel

Nach der ersten Wut… ER stolz neben unserer Strandmuschel

Am Strand entpuppt sich das Zelt als Strandmuschel. Kein Boden, keine Karabiner. Den ersten Gedanken: „Wir haben ja noch den Bon, das bringen wir zurück“ verwerfen wir schnell – lächerlich. Selten habe ich IHN so grummelig erlebt. Als wir aufgebaut haben und unsere Schlafsäcke reinlegen – direkt auf den kalten Strand, ist sein Kommentar: „Den Sand kriegen wir nie mehr raus“. Als ich in wir-machen-das-Beste-draus-Pfadfinder-Stimmung Holz sammel fürs Lagerfeuer, guckt ER auf die zarten Zweige in meinen Händen und sagt: „Vergiss es!“

Sonnenuntergang über dem „Heiligen Meer“

Mir morgens als erstes das kalte Baikalwasser ins Gesicht zu spritzen, zum Aufwachen einzutauchen und dann eingelullt ins Strandtuch dicke Brotscheiben in 400g russischen Schmierkäse zu dippen, dass alles lässt mich die Nacht vergessen. Die grölenden Party-Russen hinten im Wald, die betrunkenen Nachbarn und die sibirische Kälte, die durch den Schlafsack hoch steigt.

Glück lässt sich schwer in Worte fassen, vielleicht dafür in Ziffern: Unser Baikal-Urlaubsparadies misst 3,5 Quadratmeter, wir machen Pause vom Täglich-Tausend-Neue-Eindrücke-Weltreise-Alltag und sind einfach nur zu zweit.

In den drei Tagen am See gibt es einen Vorgeschmack auf dieses 356-Tage-7-Tage-24-Stunden zusammen auf Weltreise sein. ER war noch so stolz, auf Russich bestellen zu können, darunter Soljanka. Nachts werde ich davon wach, dass ER „ich brauche mal frische Luft“ murmelt und hektisch den Reißverschluss der Strandmuschel öffnet. Lebensmittelvergiftung. Am Strand. Nur mit der Zeltwand zwischen uns. Mehr Nähe geht nicht, denke ich jetzt. An Tag 28 unserer Weltreise.

Suppe

War lecker, aber nicht mehr ganz frisch

Dieses Foto kann ER sich zwar immernoch nicht ansehen, aber ihm geht es wieder gut. Lagerfeuer haben wir auch noch gemacht – den Kienäppeln und dem Kiefernscheid, den die Nachbarn zurück gelassen haben, sei Dank.

Ich brauchte was zum Aufwärmen, denn ich war nachts im Baikalsee – gehört zur mobilen Sauna am Strand dazu. In diesen umgebauten Anhängern riecht es übrigens nach Transsib. Nicht nach der dritten Klasse drinnen, sondern nach dem Fahrtwind draußen. Im kochenden Wasser schwimmen Birkensamen.

Sauna

Dieser festgefahrene Truck ist eine mobile Sauna

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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