SIE – Zickzack durch Shanghai

Durch wie viele Bilder ich gelaufen bin, weiß ich nicht. Sicher ein Dutzend Chinesen haben neben ihren One-two-three-Cheese Gesichtern jetzt diese traurige Touristin auf ihren Urlaubsbildern. Meine Tränen kamen ohne Vorwarnung.

Eine Rührung hat mich überwältigt, als ich vom ältesten Teehaus der Stadt zurück zur Metro gelaufen bin. Über diese Brücke. Chinesen glauben, Geister gehen nur geradeaus, deshalb haben sie den Zugang zum Teehaus mitten im Teich nicht geradeaus gebaut.

IchZickzack weine, weil mir etwas klar wird. Weil dieses Zickzack der Brücke mein Leben ist.
Erst Ausbildung, dann doch Studium. Erst sicher sein, dann doch sehen, dass es noch nicht der Richtige war – mehrmals. Erst wie bekloppt um den Job kämpfen, dann kündigen und das Fernweh stillen gehen.

Die Stationen meiner 28 Jahre, das ist der reinste Zickzack-Kurs. Ich bin ein Metroplan, meine Stationen liegen zwar auf einer Linie, führen aber quer durch die Stadt, die man Leben nennt.

Weil ich mich nicht entscheiden kann? Nein, weil ich es kann. Ich habe mich oft für, aber auch mehrfach gegen etwas entschieden. Gegen Einfach-Weitermachen.

Manchmal bereue ich, nicht den Geradeaus-Weg genommen zu haben. Ich weiß, dass ich all diese Wege gebraucht habe. Um mich mit IHM endlich angekommen zu fühlen. Um im Leben auch mal nein sagen zu können – gut, das übe ich noch. Um jetzt staunend um die Welt zu reisen – mit IHM und 15 Kilo Rucksack.

Ich weine nicht, weil ich traurig bin, sondern dankbar. Dankbar dafür, dass meine Eltern, meine Schwester und meine Freunde mich immer auf meinem Zickzack-Kurs begleitet haben. Meine Ideen nicht mit einem „Du hast doch einen Knall“ abgetan haben.

Oft konnten sie meine Sehnsucht nicht teilen und haben doch immer versucht, mich zu verstehen. So wie meine Freundin Hanna, in einem Brief zur Weltreise schrieb sie: „Ich kann es nicht verstehen, aber bin glücklich, weil du es bist!“ Manchmal male ich mir eine Identität wie die von Hanna aus. Sie hat sich entschieden. Sehr früh und sehr radikal. Eigentlich schon mit 17 für das ganze Paket, für das andere wie ich noch zehn Jahre länger brauchen. Für den Mann ihres Lebens, für den Job ihres Lebens. Jetzt ist sie 28 und ist wenige Tage vor unserem Abflug Mama geworden. Als ich sie einen Tag nach der Geburt ihres Sohnes im Krankenhaus besuchte, lag da plötzlich eine andere. Meine Freundin Hanna – aber in Erwachsen.

Als ich den Kleinen in meinen Armen halten durfte, fühlte ich mich wie ihre kleine Schwester. Erfüllt von Stolz, aber auch dem Gefühl, wieder 17 zu sein.

Spucken verboten in der U-Bahn in Shanghai

Spucken verboten in der U-Bahn in Shanghai. Sie tun es überall und trotzdem mag ich die Chinesen so – die, die ich näher kennenlernen durfte

Klar, inzwischen habe ich mich entschieden. Für IHN und für diese Reise. Auf dem Beamten-Baromter hab ich trotzdem noch nicht viel erreicht. Unverheiratet, kein Haus gebaut, kein Kind gezeugt und keinen festen Job.

Ich bin das reisende Beispiel für die Generation der vielen Möglichkeiten. Und unterwegs um die Welt lerne ich noch unzählige mehr kennen. Darf kurz den Vorhang zur Seite ziehen und eine Episode aus dem Leben der Menschen sehen, die ich treffe.

So wie Jun. Der Chinese ist 24, hat uns spontan bei sich aufgenommen, einfach weil wir Freunde einer Freundin sind. Konkreter: Die Chinesin Ya war unser erster Couchsurfing-Gast. Ihre Freundin, für die Langnase nennt sie sich Page, lebt in Shanghai. Page hat aber keine Couch zum Teilen, weil sie sich selbst ihr Zimmer im Studentenwohnheim mit drei anderen teilt. Page hat aber einen Freund. Jun hat gerade seinen Abschluss gemacht und mietet ein Appartement in Pudong, dem Banken-Viertel der Stadt. Wir dürfen bei ihm im Bett schlafen, er zieht zu seinem Mitbewohner rüber. Die Wohnung kostet 700 Euro Miete, alleine wäre das nicht zu bezahlen und eine Freundin hat er nicht.

Jun erklärt uns den Weg zum Bahnhof

Drei Jahre war er mit seiner Ex zusammen, erzählt er, als er uns Shanghai by Night zeigt. Dann wollte er im Ausland studieren und sie Heirat und sofort Kinder. Jun: „Ich musste mich entscheiden.“ Er ist nach Mexiko und wenn er von seinem Studium dort erzählt, leuchten seine Augen. Nebenbei sagt er einen Satz, der irritiert. „Meine Eltern hätten eh nicht erlaubt, dass wir heiraten. Sie ist zwei Jahre älter!“

Ich gucke IHN an. Ab heute bin ich für etwa einen Monat auch zwei Jahre älter als ER. Unvorstellbar, dass unsere Eltern aus diesem Grund gegen unsere Hochzeit wären.

Jun sagt, jetzt arbeite er erstmal. Täglich bis zu zwölf Stunden in der Bank, nach außen hin der pflichtbewusste Karrieremensch. Doch er sagt: „Ich hätte gerne Sprachen studiert, vielleicht tue ich das auch noch. Oder ich werde Koch. Sicher ist, dass ich noch ganz viel reisen möchte.“ In Mexiko habe er schon so viel gesehen und er habe Japaner getroffen, die sehr nett waren. „Das Land mag ich nicht – wegen unserer Geschichte, aber die Jungs waren richtig nett.“

So geht’s mir auch. China, die Regierung, das Land bleiben mir fremd, die Menschen mag ich aber sehr.

Das ist es, warum ich auf der Weltreise bin. Wieder so ein Moment, wieder ein Löffel für mein Päckchen. Zuhause werde ich meine Instant-Fremde genießen. Wie einen guten Kaffee mit dem Geschmack der Erinnerungen.

Ich werde mir im Alltag zwischendurch immer mal einen machen. An diese Brücke zum ältesten Teehaus Shanghais denken. Dankbar sein für diesen Schatz an Erfahrungen, den die Weltreise mir schenkt. Die Weltreise, die manche vielleicht als den größten Umweg meines Lebens bezeichnen würden, fühlt sich für mich gerade einfach nur richtig an.

Mein Steckbrief und ich haben Frieden geschlossen: SIE, 29, verlobt, arbeitslos. Heimat: Hamburg, derzeit auf Weltreise.

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