ER – Der Gestank der Transsibirischen Eisenbahn

Es riecht nach Füßen, getrocknetem Fisch, nach Menschen, die geschwitzt haben und wieder getrocknet sind, mehrmals schon, seitdem der Zug vor zwei Tagen aus Moskau losgefahren ist. Alkoholgestank hängt in der drückenden Luft, die Art Gestank, die entsteht, wenn der Suff schon durch die Schweißdrüsen ausgeschieden wird.

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Drinnen sind alle Fenster geschlossen, bei 24 Grad laut Anzeige steht die Luft im Waggon Nummer 10, Zug 70.

Es ist 3.20 Uhr in der Nacht zum Dienstag, als wir in Taiga in unsere längste Transib-Strecke steigen, 32 Stunden bis Irkutsk am Baikal-See.

An beiden Enden der Waggons mit 54 Plätzen sind die Toiletten. Der Geruch von stehendem Urin, Industriewaschmittel und kaltem Tabak. Nachts gehen manche im Raum zwischen den Waggons rauchen, tagsüber verstecken sie sich auf dem Klo.

Beim Anfahren drückt sich das Geruchsgemisch aus Toilette, kaltem Tabak, Fußschweiß und Alkoholausdünstungen durch die Beschleunigung langsam durch den Waggon. Vorbei an halbnackten Reisenden, deren Füße zum Gang rausragen.

Wir haben Seitenplätze, Nummer 41 und 42. Zwei Liegen-Längen trennen uns von der klappernden Tür zum Vorraum mit den Toiletten. Ich passe genau vom Kopf bis zu den Knien rein, wenn ich mich langmache. Die Matratze liegt zusammengerollt auf der roten Plastikliege, drinnen das Kopfkissen. Die Laken sind frisch verpackt, trotzdem rieche ich, auf welcher Seite mein Vormann eineinhalb Tage seine Füße hatte, wo seinen Kopf.

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Ich schlafe ein mit T-Shirt über der Nase. Doch jetzt, am nächsten Morgen, hat sich der Geruchssinn daran gewöhnt. Ich finde die Griffe der Absperrung meiner Liege nicht mehr so speckig wie noch gestern.

Besagte Füße

Besagte Füße

Wenn ich nach rechts gucke, sind da immer noch die Füße meines Nebenmannes, mindestens Größe 45, gelbe Hornhaut zeigt, wie sein Fuß im Schuh auftritt.

Ich weiß, dass das Gehirn mit der Zeit weniger Reizsignale weitergibt, dass der Gestank noch da ist. Vielleicht ist es aber auch ein bisschen, weil ich nach 12 Stunden im Zug langsam selbst Teil des Geruchsproblem bin.

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