ER – Ein Indonesier namens Fritz

  • Der Fotobeweis: Fritz' Führerschein

    Der Fotobeweis: Fritz‘ Führerschein

    Es ist eine Geschichte, die man lange nicht glauben kann. Sie fängt vor 53 Jahren an mit der Geburt eines Babys auf Sumatra in Indonesien. Die Eltern taufen es Fritz. Ein deutscher Name, weil die Gegend von europäischen Missionaren mehr oder weniger zwangschristianisiert wurde.

    Später wird Fritz mit Mitte 20, auf der Suche nach Arbeit, zu seinem Bruder nach Singapur fliegen. Doch er findet keinen Job, er findet aber ein Buch über seinen Namensgeber, wie er sagt: Friedrich der Große. Seitdem will Fritz nur eins – nach Deutschland.

    Er arbeitet in einem Guesthouse, und weil Fritz zuverlässig und fleißig ist, wird er zum Manager befördert. Er vergibt die 12 Zimmer erst nach der Frage: Woher kommt ihr?

    Wenn die Gäste aus England, Holland oder Australien kommen, sagt Fritz : „Sorry, ausgebucht.“ 

    Sagen sie „Aus Deutschland“, bekommen sie ein Zimmer. Irgendwann ist der Laden ein deutsches Haus, Zimmer 1 tauft er in „Aachen“ um, Zimmer 2 in „Berlin“ und so weiter.

    Immer fragt Fritz seine Besucher, denen er sich kraft seines Namens verbunden fühlt: „Kann ich euch mal besuchen?“ Und fast immer sagen die Urlauber ja.

    So wächst sein Adressbuch für Deutschland immer weiter. Nur sein Konto bleibt leer. Er sattelt um und bekommt einen gut bezahlten Posten auf Papua – jeden Pfennig spart Fritz für seinen Traum. Er fährt im Urlaub nicht zurück in die Heimat, gönnt sich nichts. Er will nach Deutschland, nichts anderes. Nach zehn Monaten hat er endlich genug Geld, kündigt und fährt nach Bali zum deutschen Konsulat. Dort sagt man ihm, ein Visum gebe es nur mit Flugticket.

    Also geht er zum einzigen Hotel, das im Jahr 1993 Flugtickets verkauft. „Ich fragte, wer nach Deutschland fliegt“ – Lufthansa, für 1400 Dollar. „Ich bin noch am gleichen Tag zur Bank und habe überwiesen.“

    Mit dem Ticket in der Hand und, wie er beschwört, auch ein bisschen, weil Fritz Fritz heißt, bekommt er das Visum. Drei Monate BRD, ab Juni 1993.
    Der Flug startet an einem Montag, doch Fritz ist so aufgeregt, dass er ab Samstag das Haus nicht mehr verlässt. „Ich hatte solche Angst, dass mir etwas passiert.“ Nur Sonntagabend muss er noch schnell was einkaufen.

    Fritz begegnet einem älteren Herrn, der nicht zu seinem Hotel findet. Fritz hilft ihm. Albert bedankt sich. Er ist Deutscher und sagt: „Ich fliege morgen nach Deutschland.“

    Fritz antwortet: „Ich auch.“

    Natürlich glaubt ihm Albert nicht. Warum sollte ein kleiner Indonesier aus dem touristischen Bali nach Deutschland in den Urlaub fliegen? Hier ist die Flugrichtung klar: Man fliegt von Deutschland nach Indonesien, nicht umgekehrt.

    Foto 5-1

    Fritz mit Anne in Weihnachtsstimmung

    Am nächsten Tag jedoch steht Fritz hinter Albert beim Check-In. Albert gesteht, dass er dachte, es sei ein Scherz, „… aber wenn du Hilfe brauchst, hier ist meine Adresse“, sagt er und gibt Fritz die Visitenkarte seines Cafés in Bonn.

    Fritz steckt die Karte ein und steigt in den Flieger, ein luxuriöses Teil, damals wurde drinnen noch geraucht und das Fliegen war Luxus. Er verschläft das Essen und fragt schüchtern die Stewardessen. Die sagen: „Bedienen Sie sich, es ist Ihr Flugzeug.“

    Als Fritz in Frankfurt landet, weint er vor Glück. Und er weint jetzt, 21 Jahre später, als er die Geschichte erzählt.

    Fritz ist heute Tourguide auf Bali. Doch seine eine große Geschichte, die Geschichte seines Lebens, spielt 21 Jahre vorher, an einem kühlen Junitag im kürzlich wiedervereinten Deutschland. Es ist eine Geschichte, die schwer zu glauben ist, bis man die feuchten Augen des 1,60 Meter großen Balinesen sieht.

    Am Flughafen in Frankfurt nimmt Fritz seinen Koffer vom Gepäckband und geht los. Er hat sein wertvolles Notizheft dabei mit den deutschen Namen und Adressen der Gäste, die ihn vor mehr als drei Jahren zu sich eingeladen haben. In der Gewissheit, dass der komische Gasthausbetreiber aus Indonesien mit dem deutschen Namen es vermutlich eh nie in ihre Welt schaffen würde.

    Mit dem Zug fährt er nach Rheinland-Pfalz. Er betont „ICE“, etwas ganz Besonderes, ein luxuriöses Gefährt aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit.

    Vor dem Bahnhof stehen Taxen in der Schlange. „In einem der hinteren Wagen saß eine Frau am Steuer, das fand ich irgendwie sicherer“, sagt er. Er geht zur Taxifahrerin und zeigt die Adresse von Susanne. Im Urlaub auf Bali hatte sie Fritz zu sich eingeladen. Die Adresse kennt er heute noch auswendig, als wäre es seine eigene. „… Nummer 28“, sagt er auf Deutsch. Doch die Frau fährt ihn nicht, er müsse das erste Taxi in der Schlange nehmen, erklärt sie ihm. Noch heute schmunzelt er darüber vor Unverständnis. Deutsche Ordnung eben. Die Fahrt kostete damals acht Mark.

    Als er ankommt, ist Susanne nicht da. Irgendwann öffnet ihm Nachbarin Angelika – und ruft Susanne an. „Warte im Garten, ich komme nach der Arbeit nach Hause“, sagt eine verdutzte Susanne am anderen Ende des Hörers. Der kleine Mann aus der Urlaubswelt ist da.

    Die Nachbarin Angelika bringt ihm einen Kaffee runter, dann lädt sie ihn ein, sich auf ihr Sofa zu legen, während er auf Susanne wartet. Und Susanne wird ihr Wort halten. Er bleibt eineinhalb Wochen, bevor er nach Bonn fährt. Und dort Albert besucht, den Mann vom Check-In-Schalter.

    Fritz kann immer so weiter erzählen, insgesamt dauert es drei Stunden, bis er die Geschichte seines Lebens detailreich zu Ende erzählt hat. Es geht nach Bonn, wo Albert ihm einen Job als Tellerwäscher anbietet, den Fritz ablehnt – „Ich bin gekommen, um Deutschland zu sehen und nicht, um zu arbeiten.“ Albert gibt ihm dann zehn Mark am Tag, einfach so.

    Seine Reise führt weiter über Berlin und Potsdam bis hinter die holländische Grenze. Im Zug nach Wien wird er von den Beamten aufgegriffen – damals durfte er mit deutschem Visum nicht nach Österreich.

    In Regensburg besucht er Christel, eine der Adressbuch-Deutschen. „Im Zug dorthin zieht mich plötzlich ein junger Mann mit langen Haaren vom Platz.“ Doch Fritz will nicht weg. Der Punk sagt: „Komm mit, hinter dir sitzen Neo-Nazis“. Fritz aber will nicht, er hat doch Deutschland bislang als Land wahrgenommen, das ihn empfängt, ihm Essen und Unterkunft schenkt. Der Punk nimmt sich seinen Rucksack und trägt ihn in einen anderen Waggon, erst dann geht Fritz mit – und wieder wird ihm geholfen, von einem Unbekannten.

    Wenn Fritz von Deutschland erzählt, ist es ein schönes, ein hilfsbereites und offenes Land. Und vielleicht hat er ja Recht und wir sind besser als unser Ruf. Zumindest werde ich nach der Weltreise an die Geschichte von Fritz denken und an die unzähligen Fremden, die uns geholfen haben. Und auch mal die Hand ausstrecken, wenn jemand in diesem komischen Land Hilfe braucht, in dem man sich nicht einmal sein Taxi aussuchen kann.

  4 comments for “ER – Ein Indonesier namens Fritz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert