ER – Wer dem Kuna-Volk die Arbeit brachte

Wie für alle Reisenden, die von Mittelamerika nach Südamerika wollen, ist in Panama Schluss mit dem Landweg. Im Grenzgebiet zwischen Panama und Kolumbien wütet die Guerilla. Einen Grenzübergang gibt es gar nicht erst, auch die legendäre Panamerikana, die Alaska mit Feuerland verbindet, ist hier unterbrochen.

Kapitän Manfred

Kapitän Manfred

Es bleiben drei Möglichkeiten: Mit der Machete durch den Urwald, mit dem Flieger oder dem Schiff weiter. Wir entscheiden uns für die romantichste Variante, dem Segelschiff.

Wir segeln auf der Mintaka, dem 14-Meter langen Alu-Boot von Manfred und Petra Habich aus Mannheim. Das Paar lebt seit 25 Jahren auf See, seit 2,5 Jahren fahren sie Touristen von Panama nach Kolumbien und zurück. „Wir sind das beliebteste Boot“, sagt der 63-jährige Kapitän. Das liegt zum einen an den Kochkünsten seiner Frau Petra. Die 60-Jährige war vor ihrer Zeit als Vollzeitseglerin die Köchin im gemeinsamen Restaurant. Zum anderen verlassen sich die Reisenden auf, wie Manfred sie leicht abwertend nennt, die deutschen Tugenden: „Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordentlichkeit“. Die meisten haben die Horror-Storys im Internet über die anderen Kapitäne gelesen: Fünf Schwimmwesten für zehn Mann. Betrunkene, Motorschaden auf hoher See, bei Unwetter rausgespült oder mit geschmuggeltem Kokain im Rumpf.

Hummer auf dem Segelschiff, frisch gekauft und zubereitet

Hummer auf dem Segelschiff, frisch gekauft und zubereitet

Petra zaubert uns aus der kleinen Bordküche wahre Geschmacksexplosionen in den Mund. Coq-au-Vin, Avocado, frisch geschnitten mit einer Limonen-Reduktion, Schweinemedaillons in Weißweinrahmsoße. Und plötzlich, auf hoher See, diese Frage, die das Herz eines jeden Gourmets höher schlagen lässt: „Wie wollt ihr euer Steak?“ Ein Sterne-Essen, weit ab vom Festland, zubereitet auf einer zwei Quadratmeter großen Küche, in der der Herd an einer Achse frei schwebt, damit die Töpfe auch bei vollen Segeln und geneigtem Boot gerade stehen. Vollausstattung, würde das bei einem Gebrauchtwagen heißen.

Die hatten schon deutschen Besuch

Höhepunkt der Reise und gleichzeitig der letzte Landgang vor der 40-stündigen Überfahrt von den San-Blas-Inseln über internationales Gewässer bis nach Kolumbien: das Treffen mit einem Kuna-Häuptling auf seiner Insel. Das Volk der Kuna ist das zweitkleinste nach den Pygmäen in Afrika. Die Einheimischen bevölkern zirka 40 der 400 San-Blas-Inseln, rund 40.000 Menschen gehören dem teilautonomen Volk an.

Der Dorfälteste mit seiner siebten (!) Frau

Der Dorfälteste mit seiner siebten (!) Frau

Wir sind bei dem Dorfältesten der Insel Julio, 75, zu Besuch. Seine siebte Frau Laura, 54, und er verkaufen Kokosnüsse an Touristen-Boote. Neben der Fischerei, dem Handel mit den traditionellen Molas und der bescheidenen Landwirtschaft ist Tourismus eine neue Einnahmequelle für die Einheimischen, die eine eigene Flagge haben: ein gespiegeltes Hakenkreuz auf gelbem und rotem Grund. Es hat mit der Swastika nichts zu tun, sondern symbolisiert einen riesigen Kraken, der dem Kuna-Glauben nach einst die Welt erschuf.

Noch ist alles ruhig: ER auf der Mintaka

Noch ist alles ruhig: ER auf der Mintaka

Kapitän Manfred hat fünf Kilo Mehl und Kekse für den Dorfältesten dabei, ein kleiner Freundschaftsdienst dafür, dass die Touristen auf die Insel dürfen. „Fragt mal, wie ‚Arbeit‘ auf Kuna heißt“, sagt Manfred. „Como se dice travajo“?, fragen wir – „Arbeit“, sagt der alte Indianer. Auf Deutsch, in seiner Einheimischen-Sprache. „Wahrscheinlich hat diese Unterscheidung von Arbeit und Nicht-Arbeit ein deutscher Missionar gebracht“, mutmaßt der Kapitän. Davor habe man einfach gelebt und Subsidiar-Wirtschaft betrieben. Da kam also irgendwann ein Deutscher auf die paradiesischen Inseln mit den Kokosnüssen und den weißen Stränden und was bringt er mit? Arbeit.

Ein Kuna verkauft die Molas direkt aus dem Boot heraus

Ein Kuna verkauft die Molas direkt aus dem Boot heraus

An Tag drei hört der Spaß für uns Landratten dann auf. Der Wind bläst seitlich in die Segel, das Schiff kippt seitlich, über 20 Grad, das reicht, um sich durchgängig mit zwei Händen überall festzuhalten. Windstärke Vier, die Wellen sind zwei, drei Meter hoch, manche krachen über die Front. „Ententeich“, sagt Manfred tief mit der Erfahrung eines alten Seebären, für uns reicht es, dass es schwer ist, das Essen drinnen zu behalten.

Zwei Nächte und ein Tag schaukeln wir uns durch die offene See, ab und zu schießt ein fliegender Fisch vor uns über die Wellen, einmal sehen wir ein Container-Schiff am Horizont, sonst ist da nur Meer und dahinter mehr. Ein ganzer Tag, den man im meditativ schlummernden Zustand verbringen kann, der Blick auf den Horizont gerichtet, in Gedanken versunken.

Nach 40 Stunden dann: „Land in Sicht!“ – Kolumbien, Cartagena, diese wundervolle befestigte Stadt mit ihrem spanischen Flair, den in Pastelltönen gestrichenen Fassaden und unglaublich freundlichen Menschen, die uns begrüßen und lächeln. Weil wir schwanken und sich alles dreht. Ich bin landkrank.

 

 

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