SIE – Der Traum von Afrika

Emma und SIE

Emma und SIE

Ohne Vorrwarnung legt mir die Frau ihr Baby in den Arm. Emma, 1 Jahr, drei Monate, sieben Kilo schwer, schläft. Die Haut ihrer niedlich-speckigen Armen ist so weich, sie riecht wie frisch aus der Badewanne und sie trägt ihr Taufkleid.

Sie räkelt sich im meinen Armen und während ich noch darüber nachdenke, was wohl mein Neffe Carl machen würde, wenn wir ihn im Schlaf in die Arme eines Fremden legen würden, guckt sie mich schon mit großen, braunen Augen an. „Mama?“ fragt sie knapp, kuschelt sich an mich und behält ihre Eltern von meinem Schoß aus im Auge.

Diese kleine Malawiarin ist die erste von vielen, die mich heute noch beeindrucken werden. Deren Gelassenheit, deren Ehrlichkeit, deren Improvisationstalent, aus nichts etwas zu machen werden mich bewegen und das große Fragezeichen, das für mich immer Afrika war, in ein großes Ausrufezeichen verwandeln.

Zu Besuch bei den Hausangestellten meiner Freundin Elena. In allen Expats-Häusern schmeißen sie den Haushalt, bewachen das Haus und Sorgen dafür, dass es im Garten blüht.

Saidi zeigt sein Land

Saidi zeigt sein Land

Aber wie sieht es bei Ihnen Zuhause aus? Wie leben die Menschen? Was bewegt sie?

Emma ist die Jüngste des Nachtwächters Happy Gongwe. Drei Töchter haben seine Frau Deborah und er. Ab wann ein Baby als Mensch angesehen wird, wollen wir wissen. Es heißt, in Malawi sei ein Kind die ersten drei Monate lang eine Sache, danach ein Mensch. Seine Antwort: „Bei uns gilt: Sobald ein Baby schreit – auch schon direkt nach der Geburt, ist es ein Mensch, wenn nicht, dann nicht.“ Ein Satz, der nachdenklich macht.

85 Prozent der Bevölkerung lebt von weniger als einem Dollar pro Kopf und Tag. Wir sind zu Besuch bei Familien, die das doppelte als die Mehrheit der Menschen verdienen, trotzdem wird uns die Armut bedrücken. An Kleinigkeiten wird klar werden, wie unterschiedlich unsere Leben sind. Wie groß die Lücke ist, die zwischen uns klafft, ahne ich noch nicht, als wir in Elenas Auto zum Treffpunkt fahren.

ER in der Familie zu Besuch

ER in der Familie von Gongwe zu Besuch

Um uns den Weg zu zeigen, obwohl es von der Asphaltstraße nur geradeaus über die Staubpiste durch ein Dorf geht, ist Gongwe an seinem freien Tag eine Stunde zum Treffpunkt gelaufen. Sein Fahrrad ist kaputt. Auch zur Arbeit geht er. Eine Stunde und 20 Minuten. Stolz bittet er uns in sein kühles Lehmhaus. Der Boden ist sauber gefegt. An den Wänden hängen Din-A4-Fotos. Über den alten Sesseln liegen gestärkte Deckchen mit Obst-Motiven.

Um auch die schüchternen anderen Kindern zum Lachen zu bringen, tue ich so, als würde ich die aufgestickte Ananas mampfen. Sie lachen, aber im selben Moment wird mir klar, dass sie Obst wie dieses wahrscheinlich noch nie gegessen haben. Jeden Tag gibt es Nsima. Das ist ein Grieß aus Mais. Reis ist in Malawi ein Festtagsessen, vielleicht am ehesten vergleichbar mit Hummer zur Hochzeit in Hamburg.
Nach seiner Nachtschicht läuft Gongwe mit seiner Digitalkamera durch die staubigen Straßen und bietet an, Fotos zu machen. Für einige Hochzeiten im Dorf hatte er schon den Auftrag, es sollen mehr werden. Dann kann er weiter sparen für sein Eigentum. Ein Stück Land kostet rund 320 Euro.

Um endlich keine Miete mehr zahlen zu müssen, hat er sich dafür entschieden. Um die zweite Rate abbezahlen zu können, muss er aber noch bis Juli sparen. 75€ verdient er als Nachtwächter im Monat. Auch wenn das im Vergleich zur Bezahlung bei den Nachbarn ein gutes Gehalt sei, müsse er noch was dazu verdienen, sagt Gongwe, als er uns seine Fotos zeigt.

Die Kinder in ihren besten Kleidern

Die Kinder in ihren besten Kleidern

Auch der Gärtner Saidi verdient sich was dazu. Er züchtet Hühner. Die seien dahinten, sagt er und zeigt auf die Tür zum Schlafzimmer. ER guckt mich an. „Ach und da brütet eins“, ruft Saidi lachend und zeigt auf die Ecke neben dem abgewetzten Sofa. Tatsächlich. Als ich mich umdrehe, fängt die Henne an zu gackern, bleibt aber sitzen. Sie brütet.

Draußen reden unzählige Kinder wild durcheinander. „Asungu“ – auf Chichewa heißt das Weißer – sagen sie, wenn sie uns sehen. Weil wir keine Sprache teilen, teilen wir Technik. Fotos und Filme von sich zu sehen, ist das Größte.

Ich halte ihnen immer wieder mein iPhone hin und von plötzlich komplett umringt von kleinen Kindern mit zerrisseneren Hosen, Schnoddernasen und staubverschmierten Gesichtern. Sie strahlen mich an. Jeder will sich auf dem Display sehen und lacht sich schlapp. Ich genieße ihre Begeisterung, aber ein Gedanke lässt mein Lachen erstarren. Ich gucke auf und versuche die Kinder zu zählen. Bestimmt ein Dutzend. Jeder zehnte in Malawi hat AIDS. Das gilt auch für Kinder.

Wir verabschieden uns und fahren zum zweiten Nachtwächter Martin.
Unterwegs durch das wuselige Dorf kreisen meine Gedanken und ich stelle beschämt fest, dass ich mit über dieses „jeder Zehnte“ nicht viele Gedanken gemacht habe.

In weiß glänzenden Sonntagskleidern sitzen die Töchter von Martin neben ihrer Mutter vor dem Haus. Für uns haben sie Stühle auf den roten Lehmboden gestellt. Sein ganzen Stolz hebt der Vater immer wieder ins Bild: seinen Sohn.

Der Stolz eines Vaters, seinen Sohn zu zeigen, kennt keine Grenzen.

  2 comments for “SIE – Der Traum von Afrika

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert