Mit einem schwarzen Filzstift erobert sie die Landkarte. Umkreist Städte, Nationalparks und Orte im Nirgendwo. Die Route malt sie auf die Klarsichtfolie, die über der Karte der Mongolei klebt. Lieber doch bei einer Familie in der Jurte schlafen? Sie nickt und wischt mit einem Papiertuch das Kreuz weg. Einen Zentimeter weiter macht sie ein neues. Ein Filzstiftkreuz als Symbol für den Wunsch, der alle Backpacker in Ulaanbaatar, der Hauptstadt der Mongolei, vereint. Ulamtuya Nyamdagaa – alle nennen sie Ogiy – verkauft Träume.
Die 38-Jährige sitzt umringt von einem Dutzend Travellern auf einem Hocker in ihrem Hostel „Golden Gobi“ und beugt sich wieder über die Landkarte. Wenn sie die Route malt, ist es, als entwerfe sie ein Kunstwerk. Mit großen Augen, fast wie ihre Schüler, verfolgen die Backpacker jeden Filzstiftstrich. Wie im
Trance willigen sie ein, zahlen bis zu 670 Euro für eine 10-Tages-Tour All inclusive durch die Wüste Gobi. Dabei muss es doch sonst immer „low budget“ sein.
Wenn Ogiy über ihr Land spricht, dann tut sie das mit Händen und Augen. Gestikulierend und leuchtend. Neun Jahre hat sie selbst als Guide gearbeitet. Damals sind auch aus Fremden Freunde geworden. 100 rund um die Welt habe sie, meint die Mongolin mit den gemachten Korkenzieher-Locken.
Eine Freundschaft ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Sie war mit zwei Holländern in einer bunt gemischten Gruppe unterwegs auf den staubigen Gobi-Straßen. „Zwischen den beiden hat es gefunkt, das habe ich gleich gespürt“, erinnert sie sich. 2001 kam dann die Einladung zur Hochzeit in Holland. Ohne Ogiy hätte sich das Paar nie kennengelernt, als Dank wird sie als Ehrengast behandelt und zu allem eingeladen. „Das hätte ich mir sonst auch nie leisten können. Damals bin ich zum ersten Mal nach Europa und im gleichen Jahr auch in die USA gereist.“ Als Mongolin ein Visum zu bekommen, war viel schwieriger als heute. Völlig unüblich war es auch, das verdiente Geld für sich und nicht für die Familie auszugeben.
Und ebenso unüblich, noch kein Kind zu haben. „Auch meine Mama hat sich gefragt, ob etwas mit mir nicht stimmt, aber ich war immer schon anders als die anderen“, sagt Ogiy schulterzuckend. Trotzig sitzt sie da, verschränkt ihre Arme. Plötzlich ist die toughe Buisinessfrau verletzlich. Verrät nicht warum, aber dass sie alleinerziehende Mutter einer vierjährigen Tochter ist.
Sie sagt Sätze wie: „Ich bin sowieso mit meinem Job verheiratet.“ Und: „Mongolische Männer sind oft Alkoholiker, in jeder Familie gibt es einen.“ Wer das in ihrer ist, sagt sie
nicht. Obwohl ihr Sätze rausrutschen. Weil ihr sonst niemand andere Fragen stellt als „Wo kann ich Geld tauschen? Wo kann ich was essen? Gibt es auch Trips in den Westen der Mongolei?“ So verrät Ogiy, dass die Fahrer von ihr 40 bis 60 Dollar täglich bekommen, von den Backpackern verlangt sie aber pro Tag pro Driver mit Benzin 94 Dollar!
Und sie gibt zu:
„Ich vermisse das unterwegs sein, ich vermisse es, Fremden meine Heimat zu zeigen, aber dafür organisiere ich heute die Trips.“ In der Hochsaison schickt die täglich sieben Gruppen in die Wüste. 2006 hat sie das Hostel „Golden Gobi“ gegründet, ein Familienunternehmen, bei dem auch ihr Bruder und ihre Mutter mit anpacken. Damals war es schier unmöglich, als Vegetarier durch die Mongolei zu reisen.
„Heute ist das anders, unter unseren 35 Fahrern ist sogar schon einer, der kein Fleisch isst“, sagt die Mongolin, die wie ihre Landsleute täglich mehrmals Schaf ist. Auf den Touren ist immer ein Stopp in Ogiys Heimatort eingeplant. Sie ist von dort weg, weil sie hoch hinaus wollte.
Die Reisenden zieht es dort hin – aus dem gleichen Grund. Dort steht die Khongoryn Els, die höchste Sanddüne der Mongolei (300 Meter). Kein Wunder, dass Ogiy ihren Weg gemacht hat. Um die Düne zu bezwingen, braucht man einen starken Willen. Ogiy hat ihren dort schon an der Düne trainiert, da war sie so jung wie ihre Tochter heute.
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