Der Bauch kribbelt, der Wind kitzelt, das Bambusgerüst knarrt. Ich schaukel.
Ein Gefühl durchströmt meinen Körper: Kindheit. Für einen Moment bin ich wieder eines der kleinen Hügelkinder, das in den Blätterhimmel des Kletterbaums rauscht. Mit den Beinen hole ich Schwung. Die Schaukel hängt an unserer geliebten Buche, die so knorrig gewachsen ist, dass auch Menschen mit wenig Fantasie, dass auch Erwachsene, zwei Äste als Pferde erkennen können. Dieser Baum, der sogar an die Kleinen wie mich gedacht hat und einen Ast als Trittleiter hat wachsen lassen.
Ich öffne die Augen und gucke nicht auf die Wiese meiner Kindheit sondern auf den Garden of Dreams. Ich könnte Stunden hier sitzen – auf dieser Bambus-Schaukel im Garten der Träume.
Wie kann schon ein Name einem Ort soviel Anmut verleihen?
Die 7042-Quadratmeter-Oase mitten in Kathamandus hektischem Zentrum verdient diesen Namen. Ein Ort für Tagträume. Zwar höre ich die Hupen der Lkws, Motorräder und Taxen, die sich durch den staubigen Straßen-Dschungel drängeln. Es sind nur 50 Meter und eine Mauer, die mich davon trennen. Trotzdem wirkt der Alltag so weit weg. Überall Blumen, die ich nur aus dem Geschäft meiner Tante kenne. Von den meisten weiß ich noch nicht mal den Namen. Nur Strelizie, Magnolie, Rosen und Dahlien fallen mir ein. Sogar die Mauern im Park sind bewachsen, die schönste Schallschutzwand, die ich je gesehen habe.
Ich liebe das Geräusch, über Kieselsteine zu gehen. Also genieße ich jeden Schritt. Ich tauche richtig ein, gehe einfach nur quer durch den Park und entdecke die Details. Plötzlich stocke ich, weil mich das, was vor mir steht, schlicht umhaut.
Meine Oma hatte auf ihrer Terrasse immer eine ganze Blumen-Batterie. Auf zwei ihrer Töpfe war sie besonders stolz, oder sie haben mich besonders fasziniert. Ich weiß es nicht mehr und ich kann sie nicht mehr fragen. Es waren die Trompetenpflanzen. Üppig hingen die Blüten über den Topfrand, sahen aus, als wären sie startklar fürs Konzert. Ich sehe dieses Bild vor mir und schaue zu dem Stamm auf, der vor mir steht: ein Trompeten-Baum!
Wenn sie das hätte sehen können. Wenn meine liebe Oma hier hätte stehen können. Wenn ich ihr wenigstens davon erzählen könnte.
Im Garten der Träume ist ja wohl alles möglich, denke ich, und setze mich auf eine Bank im Schatten.
Seelen-Skype
Ich schicke Dir einfach ein 360-Grad-Panorama, Oma!
Vor mir nepalesische Frauen in knalligen Saris, die gerade ein Fotoshooting machen. Das kleine Kind ganz in Lila, sogar auf dem kahlen Kopf trägt es eine Schleife am Haarreif.
Rechts plätschern zwei kniehohe Brunnen, das schäumende Wasser glitzert in der Sonne.
Unter dem Trompeten-Baum auf der Bank sitzt ein Paar im Schatten. Sie redet, er schweigt. Sie lehnt sich nach vorne, gestikuliert, er lehnt sich nach hinten und nickt. Über ihnen diese unzähligen Blüten, die wie bei einer Trauerweide hängen, dabei aber keinen traurigen Eindruck machen. Sie sind prächtig, majestätisch, Lachsfarbend. Ich glaube deine waren Weiß und Rosa, oder?
Wenn hier jetzt Deine große Jazz-Legende für Dich spielen würde! Louis Armstrong unter dem Trompetenbaum, und Opa und Du, ihr würdet zu „Blueberry Hill“ tanzen.
Wunderschön, mir das vorzustellen, aber zurück zu dem, was Du hier in diesem Moment sehen, hören, riechen würdest:
Hinter mir gehen Mädchen in Sommerkleidern über die Steine. Ich meine Mädchen – als Armstrong 1971 gestorben ist, waren sie noch nicht mal auf der Welt. Sie machen Selfies und kichern.
An der Hecke dahinter arbeitet ein Mann mit blauem Hemd und Gartenschere. Seine monotonen Handgriffe klingen mechanisch schön.
Rechts davon sitzt ein junges Paar. Sie schiebt einen Mini-Schockoriegel über ihr Knie. Er lächelt und greift zu. Ich verstehe ihre Sprache nicht, aber sie betonen alles sanft, es klingt zärtlich, verliebt.
Links von mir hacken Frauen in roten Gewändern mit rosa Plastik-Latschen an den Füßen die Erde eines Beetes auf. Jedes Mal, wenn sie den Spachtel in die Erde rammen, klirren ihre Armbänder. Es riecht nach aufgewühlter Erde.
Ein Vogel, wahrscheinlich eine Krähe – Du und Opa, ihr hättet es erkannt – beschwert sich unaufhörlich, zwischendurch schimpft eine andere zurück.
Eine Säge, Lachen, Hupen, immer wieder bei jedem Foto das Klicken einer Kamera. Der Wind holt Blätter von den Bäumen und weht sie zu mir auf die Bank.
Oma, ich werde mir später auch so eine Pflanze kaufen. Und meinen Enkeln erzählen – von Dir und dem Trompeten-Baum.
Ich stehe auf und gehe in den Pavillon, in dem Vorher-Nachher Bilder hängen. Der Garden of Dreams wurde in den 1920er Jahren gestaltet. 1998 war er verwahrlost, die nepalesische Verwaltung hatte ihn vernachlässigt. Von 2000 bis 2007 renovierten ihn die Nepalesen ausgerechnet mit Hilfe der österreichischen Regierung, warum weiß ich nicht. Aber ich will wissen welche Pavillons fehlen.
Der neoklassizistische Park hatte auch den Namen „Garden of six Seasons“ – Garten der sechs Jahreszeiten. Mag für uns komisch klingen, in Nepal gibt es aber zwei mehr. Die Monsunzeiten.
Bei der Renovierung des Parks konnten aber drei Pavillone nicht erneuert werden. Ich erwische einen Mitarbeiter und er schreibt mir die drei, die fehlen, auf. Es sind Früh-Herbst, Spät-Herbst und Winter.
Genau die Jahreszeiten, die wir auf der Weltreise überspringen. Eine schöne Pipi-Langstrumpf-Logik, dass man einfach mal die Jahreszeiten weglässt, die einem zu kalt und zu ungemütlich sind. Wir reisen durch die Welt widdewiddewie sie uns gefällt.
Zurück auf der Straße, zurück zum Hostel spricht mich ein Mann mit Kopftuch an. „Namaste, Mariuhana?“ flüstert er verschwörerisch und beugt sich zu mir. Ich muss lachen und winke ab. Meine Portion Glückseeligkeit hatte ich schon – für 1,80 Euro. So viel kostet der Eintritt zum Garden of Dreams.
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