SIE – Sieben Tage in Tibet

Im Kerzenschein guckt SIE "Sieben Jahre in Tibet"

Im Kerzenschein guckt SIE „Sieben Jahre in Tibet“

„Tuditsche“ (phonetisch: Danke auf Tibetisch), die rotierenden Gebetsmühlen, die Mönche mit der gelben Kopfbedeckung. Auf den Tempeln liegende Rehe, die Glückseeligkeit und Leerheit symbolisieren. Der salzige Buttertee, die sich zu Boden werfenden Betenden.

So viel von dem, was Brad Pitt sieht, schmeckt und sagt kommt mir plötzlich vertraut vor. Kommt mir plötzlich real vor. Obwohl es ein Film ist, der über das Tablet flimmert.

An der Hauptstraße sitzt man zusammen - direkt neben der Polizeistation. Rechts die Mönche mit den Schirmmützen

An der Hauptstraße sitzt man zusammen – direkt neben der Polizeistation. Rechts die Mönche mit den Schirmmützen

Ich liege unter der schweren Bettdecke und gucke „Sieben Jahre in Tibet“. Der Strom ist ausgefallen, eine Kerze taucht den Raum in warmes Licht und ich sehe diesen Klassiker mit anderen Augen.

Wenn die Chinesen Chengdu einnehmen, ist Tibet verloren.“ Die Dialoge werden plötzlich so greifbar. In der Stadt, die heute zu China gehört, Sichuans Hauptstadt, habe ich meinen Geburtstag gefeiert. Auf dem Papier sind wir jetzt hier in Lithang in China, aber in Wirklichkeit erleben wir Tibet.

Zwei Tage in Kangding, fünf in Lithang. Sieben Tage in Tibet. Beim Zensus im Jahre 2000 lebten in Lithang 93,84 Prozent Tibeter. Zum Vergleich: In Lhasa lebten im gleichen Jahr 81,6 Prozent Tibeter – Armeeangehörige wurden aber nicht mitgezählt! Im heutigen Tibet bewachen geschätzte 200.000 Sicherheitskräfte zwei Millionen Tibeter.

Immer im Einsatz: Die Müllfrauen von Lithang gönnen sich zwischendurch eine kurze Pause

Die Müllfrauen von Lithang gönnen sich zwischendurch eine kurze Pause

In der Kleinstadt Lithang, die 4046 Meter hoch liegt, gibt es tibetische Momos (Maultaschen) und überall den salzigen Buttertee. Auf den Straßen Tibeter in traditionellen Trachten, wunderschöne Klöster. Das Bild des Dalai Lamas zu besitzen, ist verboten. Wir entdecken es nicht nur in Klöstern, wo es ausnahmsweise erlaubt ist, sondern auch in Läden für Mönchskleidung. In einem läuft sogar ein Tonband: der Dalai Lama spricht. Gefährlich, denn 20 Meter weiter ist eine riesige Polizeistation aufgebaut. Wir sind beeindruckt vom Mut der Gläubigen.

Spielende Kinder in einer Nebenstraße in Lithang

Spielende Kinder in einer Nebenstraße in Lithang

Und vom Mut unseres Hostelchefs (27). Er nennt sich „Long Life“, weil das die Übersetzung seines tibetischen Namens ist. Er redet ganz offen über die Repressionen der Chinesen. Wie auch seine Landsleute in Tibet darf er keinen Reisepass besitzen, darf sein Land nicht verlassen, dass er nicht als China sondern als Tibet bezeichnet.

Sieht idyllisch aus, ist aber sehr kalt. Lithangs Berge sind eingeschneit, auf dem Motorrad ist einlümmeln angesagt

Sieht idyllisch aus, fühlt sich sehr kalt an. Lithangs Berge sind eingeschneit, auf dem Motorrad ist Einlümmeln angesagt

Seine Rache für diese Ungerechtigkeit ist subversiv. In der Goldenen Woche erhöht er die Preise enorm. Von den chinesischen Touristen, die in der Nationalfeiertag-Woche, kommen, verlangt er 600 Yuan pro Zimmer. Von uns nur 60. Umgerechnet: 78 Euro zu 7,80.

Ihr Ausländer habt ja gerade keinen Nationalfeiertag, oder?“ fragt er. Er lacht verschmitzt, freut sich. Überhaupt sehen wir hier in so viele freundliche Gesichter. Tibeter rufen uns auf der Straße zu: „Hallo! How are you?“ Das haben wir in China so auffällig nicht erlebt.

Kelzang Gyatso -der 7. Dalai Lama - wurde in Lithang geboren. Er Besuch des Geburtshaus ist beeindruckend

Kelzang Gyatso – der 7. Dalai Lama – wurde 1708 in Lithang geboren. Der Besuch des Geburtshauses ist beeindruckend

Wir werden wiederkommen. Nach Tibet. Auf dass wir uns in Lhasa irgendwann frei bewegen dürfen, ohne organisierte Tour und ohne Aufpasser. Auf dass Tibet frei sein wird. Am liebsten würde ich für diesen Wunsch eine tibetische Gebetsfahne in einem Hinterhof kaufen, in den mich Long Life führt.

Auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für IHN begleitet er mich in seiner Freizeit durch die Stadt. Zeigt mir die wirklichen tibetischen Läden. Und er erklärt mit: „Wir hängen die Gebetsfahnen auf und wenn der Wind die Stofffetzen verwittert hat, wurden unsere Gebete erhört.“ Ein wunderbarer Gedanke, aber ich möchte mich nicht typisch touristisch bedienen an der schönen Symbolik dieser großen Kultur.

ER, SIE und die jungen Mönche, die zurück ins Kloster gehen. In der Pause haben sie sich mit ihren Kutten verkloppt

ER, SIE und die jungen Mönche, die zurück ins Kloster gehen. In der Pause haben sich die jüngeren mit ihren Kutten verkloppt

Aus dem gleichen Grund, verwerfe ich meine Idee, IHM zum Geburtstag eine dieser wunderbaren Sonnenschirm-Mützen zu schenken. Weil Long Life mir erklärt: „Diese Kopfbedeckung ist nur für Mönche und nur die besonders gebildeten dürfen sie tragen.“

Schön, dieser spontane Spaziergang durch die Stadt – obwohl der für mich Höhentraining total ist. Long Life hat mir im Vorbeigehen so viel mehr über Tibet verraten, als ich es in irgendeinem Reiseführer lesen könnte. Ich werde an ihn denken, wenn ich nächstes Jahr wieder um die Alster jogge. Weil ich neben Long Life in Lithang gehend genauso außer Atem war wie beim Laufen in Hamburg.

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